Hier kommt wie versprochen die erste Leseprobe zu meinem Jugendfanthasieroman „Il Mondo Carillon – Die Welt hinter der Spieluhr“
Als Susi nach der Schule nach hause kam und ihr Fahrrad in den Schuppen gestellt hatte, wanderte ihr Blick die kleine Straße hinauf und entdeckte das Auto in der blöden Farbe. Schreiber vom Jugendamt. „Auch das noch“, seufzte sie. „Als ob der Stress mit Leon in der Schule nicht schon genug war.“ Die zehnjährige rannte ins Haus und rief wie immer: „Bin da, wer noch?“ Keine Antwort, Susi ließ ihren Ranzen auf den Boden fallen und sah sich in der Küche um, aber ihre Großmutter war nirgends zu sehen. Schnell rannte sie in die erste Etage, das Arbeitszimmer, das Schlafzimmer ihrer Großmutter und sogar ihr eigenes Zimmer suchte sie nach ihr ab. Nichts. ‚Sicher ist sie im Garten‘, dachte Susi. Die Tür zum Garten war nur angelehnt, aber ihre Oma war auch dort nicht zu finden. Susi sah sich noch einmal genau um, vielleicht hatte ihre Großmutter irgendwo eine Nachricht hinterlassen.
In
der Küche war alles wie immer, abgesehen von der Spieluhr. Ihre Oma
hütete sie wie einen Schatz, und jetzt stand sie einfach so mitten
auf dem Küchentisch. Der angestammte Platz ganz oben auf dem Schrank
war leer. Sie sah aus wie eine Schmuckdose, aber darauf stand die
filigrane Figur eines Tänzers. Susi hatte ihn schon oft bewundert,
das weiße Hemd und die schwarze Hose und wie schön er sich zur
Melodie drehte, wenn Oma die Uhr aufzog. Sie selbst durfte den
Schlüssel nie anfassen. Das war genau so tabu wie Ballspielen im
Garten.
Susi hörte, wie ein Auto vor dem Haus hielt. Sie setzte sich auf den Tisch, obwohl sie genau wusste, dass ihre Oma das nicht mochte. Immer wenn sie angestrengt nachdachte, musste sie etwas mit den Händen tun. In Gedanken drehte sie an dem Schlüssel der Spieluhr. Die Welt um sie herum, begann sich mit einem Mal zu drehen, und Susi hatte das Gefühl, alles würde größer werden. Sie schloss die Augen. In ihrem Bauch kribbelte es und ihre Arme und Beine wurden plötzlich so schwer, als würden sie Tonnen wiegen. Ihr Kopf dröhnte, sie fühlte einen dicken Kloß in ihrem Hals und meinte, ersticken zu müssen. Sie riss die Augen wieder auf, sprang erschrocken hoch und blickte sie sich um. Was war nur los? Stand sie etwa auf dem Tisch? Es klopfte an der Tür. „Frau Sommer, machen Sie auf.“ Wieder klopfte es. Jetzt hörte sie, wie jemand auf dem Kiesweg um das Haus herum ging. „Verdammt, was soll ich bloß machen?“, fragte sie sich leise. Jemand packte sie am Arm, und Susi schrie auf. „Pst, sei still, sonst hört er dich. Komm einfach hier herauf.“ Sie wurde auf ein Podest gezogen und ein Arm legte sich um sie. Sie schaute in ein ebenmäßiges Gesicht, das ihr irgendwie bekannt vorkam. „Bleib ganz ruhig stehen“, forderte eine sanfte Stimme. Sie sah den Kopf dieses Jugendamtstyps im Fenster erscheinen. Gut, dass sie die Tür abgeschlossen hatte.
„Keine Angst, wenn du dich nicht bewegst, wird er dich nicht bemerken und wieder verschwinden.“ Susi starrte entsetzt den gut aussehenden Jüngling an, der sie im Arm hielt und in einer Pose verharrte, die sie irgendwie schon hundertmal gesehen hatte, aber sie wusste nicht wo. „Wer bist du und was machst du in unserem Haus?“ „Später, tu, was ich dir gesagt habe“, murmelte er, ohne sich zu bewegen. Endlich verschwand das Gesicht vom Fenster. „Susi, ich weiß, dass du hier bist, ich habe gesehen, wie du dein Fahrrad in den Schuppen gestellt hast. Frau Sommer, sind Sie da? Also gut, ich komme nächste Woche wieder.“ Susi hörte, wie der Briefschlitz an der Tür klapperte. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie einen Zettel, der langsam nach unten glitt. Erst als sie den Motor des Wagens starten hörte, atmete sie erleichtert auf und löste sich aus dem Arm des Fremden.
„Ich
schätze, ich muss dir etwas erklären.“ Er verbeugte sich vor ihr,
aber Susi ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Was ist hier los? Wieso
sieht unsere Küche auf einmal so anders aus, und wer bist du
überhaupt?“ Sie hatte so viele Fragen.